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„Vincenzo Italiano Ball“ Analyse

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Immer wieder hört man Serie A Fans in hohen Tönen von „Italiano Ball“ sprechen. Aber wer ist der 45- jährige Trainer überhaupt, wie spielt seine Mannschaft genau, was machen sie gut und was gelingt ihnen eher weniger? Das alles analysiert Alex in dieser Taktikanalyse von Vincenzo Italianos Fiorentina.

Persönlich

Nach seinem Karriereende als Spieler in 2014 begann Vincenzo Italiano direkt seine Trainerkarriere. Nach Stationen als Co- und Jugendtrainer begann seine Laufbahn als Headcoach in der vierten Liga, der Serie D. Chronologisch arbeitete er sich eine Ligastufe nach der anderen nach oben, mit Spezia Calcio gelang ihm 2020 dann sogar der Aufstieg in die Serie A. Dort schaffte er es, mit einem schwachen Kader die Klasse zu halten und erweckte damit das Interesse größerer Klubs. Im Juli 2021 stellte ihn schließlich der ACF Fiorentina als Trainer ein. In der Saison 2020/2021 spielte Florenz sogar gegen den Abstieg, landete auf Platz 14 und hatte am Ende der Saison nur einen Punkt mehr als Italianos Aufsteiger Spezia. Seit der in Karlsruhe geborene Trainer im Amt ist, weht jedoch ein anderer Wind bei Fiorentina. Platz sieben in seiner ersten Spielzeit und Platz acht bislang in der laufenden Saison kann sich sehen lassen. Dazu kommt, dass „La Viola“ im Conference League Halbfinale steht und am 24. Mai im Coppa Italia Finale gegen Inter die Möglichkeit hat, den ersten Titel seit 2001 zu gewinnen. In diesem Artikel schreibe ich darüber, wie Italianos Team nicht nur halbwegs erfolgreich, sondern vor allem sehr ansehnlich Fußball spielt.

Spiel mit Ball 

Fiorentinas Spiel basiert auf viel Ballbesitz, in der Liga haben sie mit 57% sogar den zweithöchsten Wert, nur Meister Napoli hat den Ball länger pro Spiel. Im Gegensatz zu Napoli aber setzt die Mannschaft sehr wenig auf viele kurze Pässe, viel eher wird der Ball lang geschlagen oder progressiv getragen. Sie führen die Liga in versuchte und auch angekommene lange Bälle pro Spiel (34.5) an. Fiorentina hat mit 62.73% den zweitbesten „Field Tilt“ Wert in Italiens erster Spielklasse, was zeigt, dass sie den Ball nicht nur in ihren eigenen Reihen herum schieben, sondern im Verhältnis zu ihren Gegnern viele Aktionen im letzten Drittel haben.

Aufbauspiel

Auch wenn die Grundformation am Papier meist eine 4-3-3 oder 4-2-3-1 Formation ist, baut Fiorentina üblicherweise in einer 3+1 Diamant-Form auf. Es gibt 3 verschiedene Arten, wie dieser Aufbau entsteht, zwischen denen meistens, je nach Gegner und Spielermaterial am Feld, gewechselt wird. Die erste Option ist, dass einer der beiden Innenverteidiger in das Zentrum schiebt. Die beiden Außenverteidiger und der übrige IV bilden dann die erste Linie im Aufbauspiel. Dadurch ist man in erster Linie selten in Unterzahl und überlädt man 3-Mann Mittelfelder, wie zum Beispiel gegen Inter, durch eine 4v3 Überzahlsituation im Zentrum.

Fiorentinas 3+1 Aufbau
Der 3+1 Aufbau mit Igor im Mittelfeldzentrum (Bildquelle: Wyscout)

Die anderen beiden Optionen werden meist dann gewählt, wenn Sofyan Amrabat in der Startelf steht. Der 26-jährige Mittelfeldspieler hat bei der WM für Marokko der ganzen Welt seine Qualitäten gezeigt. In Italianos System übernimmt er eine tragende Rolle im Aufbauspiel. Aufgrund seiner Qualitäten in dieser Phase des Spiels lässt er sich oft in die erste Kette fallen und wechselt sozusagen seine Position mit einem der beiden Innenverteidiger, um von dort aus das Spiel zu dirigieren und aufzubauen. Gegen Teams, die tiefer stehen, agiert er auch oft als Regista vor den beiden Innenverteidigern in einem 2+1 Aufbau, während die AVs höher nach vorne schieben. 

Fiorentinas 3+1 Aufbau
Der 3+1 Aufbau mit Amrabat in der 1. Aufbaulinie

Die dritte Variante ist, dass der ballferne Außenverteidiger, zusammen mit den beiden Innenverteidigern, die erste Aufbaulinie bildet. Der defensive Außenspieler auf der ballnahen Seite rückt ins Zentrum, um den Passweg zum abkippenden Flügelspieler freizugeben. 

Fiorentinas 3+1 Aufbau
Der 3+1 Aufbau mit Amrabat als „Regista“ vor der Abwehr

Italianos Spiel ist sehr direkt und progressiv, wie schon erwähnt, sind lange und hohe Bälle ein oft benutztes Werkzeug im Spiel mit dem Ball. Fiorentina progressed meistens über die Außen- und Halbräume durch Überzahlsituationen auf den Flügeln, jedoch besetzen sie meistens alle Half- und Wingspaces und auch das Zentrum mit mindestens einem Spieler. Die größte Schwäche im Spiel mit dem Ball ist, dass Florenz es nur selten schafft flach und vertikal durchs Zentrum zu spielen, vor allem im letzten Drittel fehlen Playmaking Qualitäten im Zentrum. 

Flanken als Waffe 

„Italiano Ball“ basiert auf vielen Seitenwechseln und Flanken, nur Inter Mailand flanken öfter pro Spiel als die Viola. Mit Christiano Biraghi hat die Fiorentina einen Experten in diesem Gebiet. Der Kapitän und Standartspezialist ist einer der gefährlichsten Flankengeber Europas. In der Liga hat diese Saison kein einziger Spieler so viele angekommene Flanken und Schlüsselpässe wie er. Gute Flanken alleine reichen dafür aber nicht, eine große Stärke der Mannschaft ist auch die Präsenz in und um die Box. Wenn ein Spieler im Halbfeld oder auf den Außen den Ball hat, positionieren sich sofort einige Spieler in den Sechzehn-Meter-Raum. Neben dem Stürmer schieben auch zwei oder sogar alle drei Mittelfeldspieler und der ballferne Flügel in den Strafraum. 

Fiorentina Flanke
Fiorentinas Besetzung vom letzten Drittel bei einer Möglichkeit zu Flanken gegen AC Milan

Florenz ist ein Team, das außerdem hohe Gefahr bei Standards ausstrahlt. Biraghi schlägt gute Freistöße und Ecken, schießt aber nicht alle Eckbälle direkt. Fiorentina spielt nämlich eine Vielzahl ihrer Ecken kurz und spielt sich damit oft bessere Möglichkeiten heraus, als es durch Ecken oft der Fall ist.

Die Entstehung vom 1:0 gegen Sampdoria nach einer kurz gespielten Ecke

Gegen den Ball

Vincenzo Italiano lässt ein extrem aggressives Pressing spielen. Seine Mannschaft presst meistens Mann zu Mann und sehr hoch. Spätestens, wenn das gegnerische Team im Aufbau einen Rückpass macht, ist das der Trigger für aggressives Pressing. Mit einer Build-up-Disruption von 5.87% und nur 10 zugelassenen Pässen pro defensiver Aktion führen sie die Serie A in diesen Statistiken an. In den Werten „Gegen Pressing Intensität“ (GPI), die aussagt, wie schnell das Team nach Ballverlust den Ballbesitz zurückerobert (55.9%) ist laut soccerment national nur Napoli besser.

Wenn die gegnerische Mannschaft mit drei Spielern in der ersten Linie aufbaut, presst Fiorentina mit 3 Männern in der ersten Linie und spiegelt somit die Formation des Gegners. In der letzten Linie befinden sich die Abwehrspieler jeweils in potenziell gefährlichen 1v1 Situationen. Wenn das Pressing nicht effektiv ist und überspielt wird, findet sich die Abwehrreiche schnell in Unterzahlduellen wieder.

Fiorentinas Pressing gegen einen 3er Aufbau (Inter)

Wenn der Gegner jedoch in einer 2er/4er Struktur in erster Linie aufbaut, muss der ballnahe Außenverteidiger auf den gegnerischen Außenverteidiger schieben. Dass dahinter keine riesigen Räume entstehen, verschiebt die letzte Kette und gegebenfalls das Mittelfeld ballnahe mit. Dadurch lässt man jedoch große Räume auf der ballfernen Seite des Spielfeldes, die mit schnellen Seitenwechsel angespielt werden könnten. Diese Saison sind im Pressing auch oft die Abstände zwischen den Linien zu groß, wodurch es einfacher ist, dies zu überspielen und gefährlich vor Fiorentinas Tor zu kommen.

Fiorentinas Pressing gegen einen 4er Aufbau (Milan)

Das größte Problem aber liegt auf der Hand, ein Team, das hoch presst, spielt automatisch eine hohe Abwehrlinie. Dadurch entsteht ein großer Raum hinter der Abwehr in den hineingespielt oder gelaufen werden kann. Außerdem befindet sich jeder Spieler meistens in 1v1 Duellen, wodurch Fehler fatale Folgen haben können, vor allem in der letzten Linie. Individuell starke Spieler können dadurch auch gefährlicher werden, als wenn sie ständig gedoppelt werden. Am 33. Spieltag beim 3:3 Auswärtsspiel in Salerno konnte man diese Schwächen bei allen drei Toren sehen. Die ersten beiden Tore von Salernitana entstanden durch Bälle über die Kette auf den in die Tiefe laufenden Boulaye Dia, wobei Igor beide Male zu spät kam, weil er falsche Entscheidungen traf und zu langsam handelte. Auch der Elfmeter zum 3:2 entstand nach einem langen Ball über die Kette, ein Problem, das Fiorentina im kommenden Sommer angehen muss.  

Salernitanas Tor gegen Fiorentina
Die Enstehung von Salernitanas 1:0

Um zu verhindern, dass der Gegner die Räume hinter der Kette nutzt benötigt es Verteidiger mit gutem Positionsspiel und Spielverständnis. Sie müssen das Spiel lesen können um Gegenspieler ins Abseits laufen zu lassen und gut vorverteidigen um vor dem Gegner am Ball zu sein oder ihn bei der Annahme entscheidend zu stören. Außerdem ist es wichtig, dass die Abwehrreihe weder langsam noch körperlich schwach ist, da sie in viele Zweikämpfe und Laufduelle gehen müssen. Eine gute Kommunikation der Spieler, auch ohne Worte, ist essenziell um Missverständnisse beim Halten der Linie und bei Abseitsfallen zu vermeiden. Auch mit Ball verlangt Italiano von seinen Innenverteidigern viele progressive Läufe so wie Pässe. Martinez Quarta ist einer der besten ballspielenden Innenverteidiger der Serie A, hat aber körperlich und in Sprintduellen öfters Probleme, wobei es bei einem seiner IV-Partner Igor fast andersrum ist. Das ein System wie dieses gut funktioniert, braucht man die richtigen Spieler, diese muss man Italiano zur Verfügung stellen, wenn man erfolgreicher sein will. 

Benötigte Spielerprofile

Variabilität ist eine essenzielle Qualität, die jeder Spieler im Kader haben muss, weil die Feldspieler in Italianos Spiel pausenlos rotieren. Flügelspieler müssen flanken, nach innen ziehen und aus verschiedenen Positionen schießen, aber auch einen Mann im 1v1 schlagen können. Die Sturmspitze sollte über ein gutes link up play verfügen, ein ausgeprägtes Positionsspiel haben und vor allem ein gut und viel pressen, wie jeder am Feld. Fiorentina hatte am Anfang der Saison ein Stürmerproblem, Jovic und Cabral hatten gemeinsam von August bis September nur 5 Ligatore, so viele wie Vorgänger Dusan Vlahovic teilweise in einem Monat schoss. Nach wie vor underperformen sie ihre erwarteten Tore, aber Arthur Cabral, der vom Profil her eigentlich gut zu Italiano passen würde, befindet sich seit Februar in einer ganz guten Phase und hat endlich begonnen, regelmäßiger zu treffen. Die Abwehrspieler, so wie auch das Mittelfeld, müssen sich mit dem Ball am Fuß wohl fühlen, pressingresistent sein und mutig vertikal spielen können. Die Außenverteidiger haben die Aufgabe, oft ins Zentrum zu inversieren, viele under- und overlapping Läufe zu machen, um Passoptionen für die Flügelspieler zu bieten oder deren Gegenspieler wegzuziehen. Italiano selbst sagt: „Als ein Ex-Mittelfeldspieler, mag ich es, wenn sich das ganze Team bewegt, ich mag es zu sehen, dass jeder involviert ist.“.

Fiorentina gegen Milan
Dodo zieht Tonali mit einem underlapping Lauf aus dem Zentrum (Bildquelle: Wyscout)

Fazit:

Vincenzo Italianos Truppe spielt ganz im Gegenteil zum „Catenaccio“, womit der Fußball in Italien gerne beschrieben wird, sehr mutigen und ansehnlichen Pressing-Fußball. Auch mit Ball ist das Spiel der Fiorentina sehr progressiv mit dem Ziel, das Spiel zu kontrollieren und sich dabei so viele Chancen zu erspielen wie nur möglich. Sein System hat nach wie vor Schwächen, die auch aufgrund fehlender individueller Qualität bestehen. Man kann davon überzeugt sein, dass Italiano sich als Trainer von Saison zu Saison weiterentwickelt und die Qualität hat, ein Topteam zu trainieren. Früher oder später wird er mit einem großen Verein Erfolge feiern können

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