Borussia Mönchengladbach hat einen Neuzugang: Tomáš Čvančara. Der 1,90m lange Stürmer absolvierte 49 Pflichtspiele für Sparta Prag, schoss dort 24 Tore und bereitete weitere 7 vor. Nun der Wechsel nach Gladbach. Laut Medienberichten zahlen die Fohlen rund 10 Mio. Euro Ablöse.
Der in Neratovice (Tschechien) geborene Neuzugang unterschrieb einen 5-Jahres-Vertrag bis 2028.
Tomáš Čvančara soll auf dem Papier den ablösefreien Abgang von Marcus Thuram (Inter Mailand) ersetzen.
Auf wen sich die Fohlen einstellen dürfen, welche Stärken/Schwächen* Čvančara hat und wie man den Stürmer am besten einsetzt, analysiert Deniz (@DenizimHalbraum).
*Die Stärken und Schwächen sind in drei Kategorien unterteilt:
– Offensivleistungen
– Verbindungsspiel mit Mannschaftsteilen
– Defensivleistungen.
Stärken (Offensiv): Ein Stürmer mit Tempo und Abschlussqualitäten
- Beschleunigung
Trotz der Körpergröße von immerhin 1,90 Metern und einem Gewicht von 85kg (Quelle: Wyscout) ist sein Tempo beeindruckend. Der Neuzugang kann vor allem dann beschleunigen, wenn dieser viel Freifläche vor sich hat. In der abgelaufenen Spielzeit kam Čvančara ebenso oft über die Flügelposition.
- Tiefgang
Typisch für Spieler, die schnell sind, hat auch Čvančara Stärken in seinem Tiefgang. Sein Tempo hilft, um schnell Raum zu überbrücken.
Seine Positionsfindung hängt dynamisch davon ab, auf welcher Position er eingesetzt ist und ob zentrale Räume frei zu attackieren sind.
Im anderen Fall weicht dieser in Halbräume aus.
- Kopfball(-Tore)
Dass Čvančara bei der Größe keine schlechten Bedingungen in Kopfballduellen hat, zeigt das anschließende Video. Besonders in Standardsituationen wird auffällig, wie gefährlich der Stürmer ist.
Aus dem Spiel heraus setzt man seine Kopfballtechnik am besten dann ein, wenn er aus seiner Position heraus zum Ball laufen kann (und sich gegen seinen Gegenspieler im Zweikampf auf dem Boden durchsetzen darf).
Dabei zeichnet den tschechischen Nationalspieler ein gutes Timing im Absprung aus, der dann zu Kopfbällen ansetzen kann.
- Laufwege in die Box
Čvančara erarbeitet sich seine Räume, die er braucht, um die (Flanken-)Hereingaben vollenden zu können.
So besprintet der Stürmer im Folgebeispiel den Raum zum zweiten Pfosten hin, um diesen zum ballnahen Pfosten zu vergrößern.
Den ersten Pfosten beläuft er, wenn die Hereingabe gespielt wird. So gewinnt Čvančara Zeit und hat den Aktionsvorteil auf seiner Seite.
Ansonsten hat Čvančara keine präferierte Zone. Die Räume, die sich zum attackieren anbieten, nutzt der Neuzugang aus.
So ist der Raum zum ballfernen Pfosten eine Zone, die aus der Statik heraus attackiert werden kann, weil die Verteidiger auf Ballseite mitschieben.
Flexibel, wie Čvančara ist, orientiert er sich situativ auch ballfern ein. Die Spieldynamik, die seine Mitspieler erzeugen können, nutzt er, um aus der Breite ins Zentrum ziehen zu können, wenn sich eine Abschlusssituation ergeben kann (zum Beispiel im Rückraum).
Schwächen: Kopfballtechnik und Entscheidungsfindung
Ja, Tomáš Čvančara erzielte in seiner Karriere nicht wenige Kopfballtore. Dennoch wurde in der Analyse auffällig, dass der Stürmer noch Entwicklungsbereiche in seiner Kopfballausübung hat.
So hat Čvančara das Problem, dass er seine Körperbalance in der Luft nur schwer halten kann.
Das Timing für für den Absprung – wie bereits erwähnt – ist gut; ist der Ball jedoch länger in der Luft, so hat der Nationalspieler seine Schwierigkeiten, um in der Kopfballausübung sauber zu bleiben.
Man mag fast schreiben: Typisch für einen Neuner, hat dieser Entwicklungspotenziale im Bereich der Entscheidungsfindung. Denn: Tomáš Čvančara trifft im Verhältnis noch zu oft eigensinnige Entscheidungen.
Zum Beispiel in fast aussichtslosen Abschlusspositionen, in denen ein Abspiel die niedrige Torwahrscheinlichkeit zumindest nicht verringern würde.
Schmerzhaft wird es allerdings dann, wenn der Stürmer vor der Box frühzeitig abschließt, und gleich mehrere Mitspieler in deutlich gefährlicheren Zonen übersieht.
In den berühmt berüchtigten YouTube Highlight-Videos sind 1-2 Tore außerhalb der Box zu finden; diese Szenen, wie eben beschrieben, eher selten.
Stärken (Verbindungsspiel): Der Mitspielende
Das Spielerprofil, um ein Wandspieler zum Beispiel in der Spieleröffnung zu sein, hat Čvančara. Speziell, wenn der Gegner in der 1vs1-Zustellung agiert, hat der Stürmer seine Stärken im Ablegen, bspw. in seinen Klatsch-Bällen.
Wichtig für einen Stürmer, der sich auch mal fallen lässt, ist, dass dieser die technischen Möglichkeiten hat, Seitenverlagerungen spielen zu können. Im Folgebeispiel schlägt der Neuzugang mit seinem schwächeren Fuß eine Seitenverlagerung auf den linken Flügel, nachdem er den Ball zur „offenen“ Seite mitnimmt.
Speziell gegen Ende der abgelaufenen Spielzeit mit Sparta Prag, wurde Tomáš Čvančara über den rechten Flügel eingesetzt.
Trotz dessen zog er im Mittelfeld-Drittel regelmäßig ins Zentrum, um im Spiel vollends integriert zu sein.
Dabei löst er sich früh von den Verteidigern und positioniert sich in der Höhe so flach wie möglich im Zwischenraum.
Typisch für seinen zweiten Move: direktes, nach vorne-klatschendes Spiel.
Čvančaras Aufdrehbewegung ist sehr stark. Seine Vororientierung, die eben beschrieben wurde, vereint er mit einer starken Aufdrehbewegung. Somit kommt der Stürmer früh in Situationen, in denen er tief spielen kann.
Und auch als Mittelstürmer und auf der Position vor allem, sucht dieser die Verbindungspunkte mit seinen Mitspielern indem er seine Position im Zentrum in Zwischenlinien findet.
Wie bereits analysiert: Ist ein direkter, vertikaler Ball möglich, wird dieser gespielt.
Eine Aktion, die all seine Stärken im Verbindungsspiel aufzeigen, fasst dieser Videoclip sehr gut zusammen:
Schwächen: Schläfrige Phasen
Entwicklungspotenzial hat Tomáš Čvančara im Bereich der Wahrnehmung. Er wirkt in den gestreckten 90 Minuten in Spielphasen „schläfrig“/“unkonzentriert“.
Teils schafft es der Stürmer nicht, den Druck des Gegenspielers wahrzunehmen, und gerät in diesen Situationen in Zeitdruck und Probleme.
Dazu folgt, dass er in Raumenge nicht immer die optimale technische Ausführung besitzt. Diese sind nicht gravierend, jedoch in Kombination mit seinem direkten und vertikalen (Klatsch-)Spiel ein Faktor für schnellere Ballverluste.
Stärken (Defensive): Intensität als oberstes Gut
Die tschechische Liga ist generell eine, die sehr pressingintensiv ist. Der PPDA-Wert (umso niedriger, desto intensiver) der Fortuna Liga beträgt bei durchschnittlich 9,3. Sparta Prag selbst war die Mannschaft der Liga, mit dem zweitniedrigsten Wert (7,5).
Zum Vergleich:
In England (11,3) Deutschland (11,1) ist der Ligadurchschnitt deutlich höher (also weniger Pressingvorgänge).
Zum intensiven Spielstil dieser Liga passt sich Čvančara sehr an.
Seine Intensität, die sich zum Beispiel dann bemerkbar macht, wenn dieser in der Rückwärtsbewegung im Vollsprint seine Position wieder holt, ist ein Markenzeichen.
Durch seine Flügelrolle, hatte er auch defensive Aufgaben.
Tomáš Čvančara spielte im 4-3-3, 4-2-3-1, oder auch 5-2-3, bei dieser er auch – neben der Stürmerposition – die rechte Seite der ersten Pressinglinie einnahm.
Die Intensität geht ihm im Gegenpressing nicht verloren.
Der sofortige Impuls, den Gegenspieler direkt (erneut) zu pressen, ist beim Stürmer ausgeprägt.
Das Tempo, die Intensität und „Mentalität“, was Tomáš Čvančara im Gesamtpaket mitbringt, helfen ihm besonders im Vorwärtspressing (ähnliches bereits im Scoutingbericht zu Franck Honorat analysiert).
Sein Spiel gegen den Ball ist intensiv und vermutlich in Teilen zu wild, aber immer mit der Intention unterwegs, den Gegenspieler zu „jagen“.
So auch in der Rolle als Mittelstürmer, bspw. im 4-2-3-1.
Čvančara findet für sich stets den Pressingauslöser, blockt vorher Passwege die vertikal oder diagonal gespielt werden können, um im Anschluss vorwärts pressen zu können.
Schwächen: Intensität und „Pressingwahn“ müssen koordiniert werden
Wie bereits angedeutet:
Bei aller Intensität und Emotionalität, die Čvančara mitbringt, ist noch einiges im Bereich des Koordinierens möglich.
Nicht primär im Laufumfang, aber in der Art und Weise in seinem Pressingverhalten.
Das oft frontale Pressing, welches er komplett durchzieht, ist für den Gegenspieler eine Möglichkeit – zum Beispiel durch einen Doppelpass – den Raum im Rücken Čvančaras zu attackieren.
Die frontale und durchgezogene Pressingart muss dahingehend koordiniert werden, dass dieser nach seinem Anlaufen noch die Chance hat, bei einem Überspielen, wieder in die defensive Formation oder zumindest in den nächsten Zweikampf zu gelangen.
Wie setzt man Čvančara ein?
Die Frage bleibt: Wie setzt Gladbach diesen Spielertypen bestmöglich ein?
In der abgelaufenen Saison kam Čvančara gleichermaßen auf der Flügel- und Stürmerposition zum Einsatz.
Die Flügelrolle interpretierte der Neuzugang zentrumsorientiert. Die Bindung im Spielgeschehen ist ein Bestandteil seines Spiels.
Durch sein Profil und vor allem seine Stärken im Verbindungsspiel kann Čvančara in letzter Linie von Bedeutung sein. Gerade als Wandspieler ist dieses Spielerprofil zu „schade“, um es auf der Flügelposition zu verbrauchen. Gerade, weil Gladbach mit Honorat und Ngoumou bereits zwei Breitengeber im Kader hat.
Als Wandspieler hat Čvančara das nötige Profil. Daten belegen, dass er sich in Offensivzweikämpfen behaupten kann:
40,6% dieser Zweikämpfe gewann der tschechische Nationalspieler in der abgelaufenen Saison. Vergleicht man ihn mit den Stürmern der Bundesliga, würde er im genannten Bereich den viert-besten Wert erreichen.
Im letzten Drittel
Čvančaras vielseitige Stärken (Verbindungsspiel, Tiefgang) geben den Fohlen Flexibilität.
Der Stürmer hat ein cleveres Anbindungsverhalten zu seinen Mitspielern und dadurch eine gewisse Präsenz in (auch kleineren) Zwischenräumen.
Seine Positionsfindung ist stark. Gladbachs Kombinationsspieler werden ihn finden.
Der bereits angesprochene Tiefgang ist mit Thuram gegangen und kommt mit Čvančara wieder. Im folgender Videosequenz sind zwei Clips zu sehen, die verdeutlichen, wie man den Stürmer im letzten Drittel, gegen ein tiefstehenden Gegner, eingesetzt bekommt. In Halbräumen positioniert, findet Čvančara Zonen für seine Tiefenläufe – entgegengesetzt der Laufrichtung der gegnerischen Abwehrkette.
Den größten Input, den die Fohlen durch den Thuram/Čvančara-Tausch gewinnen, ist die konstante Positionierung im Zentrum der Box.
Dadurch sind Hereingaben jeglicher Art ein größeres Thema, als in der abgelaufenen Saison unter Trainer Daniel Farke und Marcus Thuram in der Sturmspitze.
Dass die Borussia mit Honorat einen zuletzt getätigten Transfer realisiert haben, der gerne, oft und präzise Flanken schlagen kann, ist im Hinblick auf Čvančara sicher kein Zufall.
Mögliche Aufstellung
Tomáš Čvančara ersetzt, wie bereits angesprochen, Thuram im Sturmzentrum.
Der aktuelle Kader gibt eine 3er-, aber auch 4er-Kette her.
Im Ballbesitz bietet sich sicherlich eine statische 3er-Kette an. Mit Elvedi und Itakura hätte man in Halbräumen sichere Passsender. Das Trapez im Mittelfeldzentrum bilden dann Weigl, Kone, Neuhaus und Plea, während Netz und Honorat die Breite, sowie Tiefe geben.
Im letzten Drittel kann aus einer 3-1(+1) Restverteidigung aufgebaut werden. Dazu hilft das ballferne Einrücken des Flügelspielers (i. d. F. Honorat) um in tornäheren Situationen Aktionen (Tiefe) kreieren zu können. Mit Netz auf der anderen Seite ist auf den Flügeln viel Tempo gegeben. Seoane mag es gerne, wenn die ballnahen Dreiecke, oder Rauten, in den Zwischenlinien so hoch wie möglich positioniert sind. Plea käme diese Anordnung entgegen. In dieser kam er gegen Ende der Spielzeit 21/22 unter Adi Hütter nochmal in Fahrt und konnte einige Scorer beisteuern.
So, oder so ähnlich, oder auch ganz anders, kann es noch kommen.
Feststeht: Die Borussia gewinnt immer mehr an Profil. Die Testspiele werden zeigen, wie Seoane die Neuzugänge integrieren wird.
Eine Analyse von Deniz (@DenizimHalbraum).
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