Borussia Mönchengladbach verlor am 20. Spieltag bei Hertha BSC 4:1. Die Verantwortlichen müssen nun aufpassen, dass die Grundstimmung rund um den Verein nicht endgültig kippt. Nachdem Spiel machte sich der erste richtige Frust in dieser Saison breit. Auch, weil viele Fans sich über die fehlende Spielidee von Trainer Daniel Farke beschweren. Anhand des Auswärtsspiels möchten Deniz (@DenizimHalbraum) & Marc (@ZonalMarc) auf ein paar Grundprinzipien im Ballbesitz (und auf den Sinn dahinter) eingehen und erläutern welche Probleme im letzten Drittel, sowie in der zweiten Halbzeit – bei entstehender Hektik – entstehen.
Borussias Spieleröffnung (mit Omlin) – (Deniz)
Die Fohlen agieren unter Farke generell in der Spieleröffnung so, dass sie stets den Ballbesitz sichern und viel Personal dafür in den ersten Linien verwenden.
Im Abstoß über Omlin bildet sich stets eine 4-2 Struktur, die situativ und matchplanabhängig dahinter weiter gestaffelt wird. Gegen die Hertha strukturierte man sich beim Abstoß im 4-2-2-2, um im Zentrum gegen Herthas Mittelfeld (Serdar, Cigerci und Tousart) Überzahl (4vs3) zu schaffen und den freien Fuß zu finden. Im unteren Video erkennt man, wie der freie Fuß gefunden wird, und Räume früh „gezogen“ werden (Herthas seitl. Verteidiger rückt auf freien Stindl raus; Netz über den linken Flügel bespielbar).
In der freien Spieleröffnung agieren die Fohlen in klaren Strukturen; je nach Gegner und Matchplan bilden sich stets rautenförmige Spielerpersonalien, die sich auf dem Platz rotierend bewegen. Gegen Schalke (Link hier) zeigten sich klarere 3-Raute-3 Strukturen. Im Auswärtsspiel gegen Hertha passte man sich mit der 2-Raute-4 Struktur an, weil die Herthaner in einer 5er-Kette einen Spieler in letzter Linie mehr hatten, als Schalke im 4-2-3-1.
Das Ziel: Stets einen „freien Fuß“ durch diagonale und vertikale Linien finden, die in einer Rautenbildung entstehen.
Daraus folgend versuchen die Fohlen frühzeitig Räume in tiefen Positionen, die entgegen kommen (Tiefe hinter der anlockenden gegn. Abwehrkette), freizuziehen, um sie im Anschluss dynamisch zu bespielen. In den nun folgenden zwei Videosequenzen wird deutlich, wie bspw. Hofmann und Wolf tief kommend – tief gehen und sich so die Räume hinter der Hertha-Abwehrkette öffnen.
Systembedingte Räume finden
Durch die beschriebene Rautenbildung in verschiedenen Zonen, versuchen die Fohlen in den Zwischenräumen Spieler zu finden, um somit „Stück für Stück“ Räume zu überbrücken. Dafür ist es wichtig, sich in den Zwischenlinien zu positionieren und stets offen zum Mitspieler zu stehen, um in der Anschlussaktion direkt verlagern zu können.
Durch die ballnahe hohe personelle Bildung, verschiebt der Gegner – um nicht in Unterzahl zu geraten – mit auf Ballseite, was für BMG Freifläche in ballfernen Zonen bedeutet.
Diese versuchte man im vergangenen Auswärtsspiel über Kone im Halbraum und Netz in letzter Linie zu nutzen und auf Herthas Flügelverteidiger eine Überzahl (2vs1) zu schaffen.
Vorhandene Schwächen im Angriffsdrittel
Borussia hat also ein gutes Aufbauspiel, welches stets strukturiert und organisiert ist. Die Strukturen und Abläufe sind fest integriert, sodass es für die Gegner schwer ist, BMG im Angriffspressing zu packen.
Allerdings benötigt die Farke-Elf auch dafür viel Personal hinter und rund um den Ball, welches dafür sorgt, dass wir zwar ballsicher zirkulieren können, aber die letzte Linie nicht ausreichend genug besetzen können, um tiefe Laufwege zu erzeugen oder auch die gegnerische Kette weiter zu drücken.
Zudem sind vorhandene Schwächen im Spiel im letzten Drittel zu beobachten, wenn die freien Räume durch unser Positionsspiel nicht frühzeitig geöffnet werden können.
Bereits im Heimspiel gegen Leverkusen und Schalke war das Spiel im Angriffsdrittel ein Problem, welches für wenig Torgefahr sorgte. Im obigen Video ( 12. Spielminute) war bereits eine 3vs6-Unterzahlsituation in letzter Linie zu beobachten, die es schwer macht, Torchancen zu kreieren und den Mitspieler in höheren Zonen abschlussbereit zu finden.
Fehlende Tempoverschärfung im letzten Drittel (Marc)
Im beschriebenen Muster, ballfern Überzahl schaffen zu wollen, sieht man, wie Borussia in Spielphasen durch fehlende Tempoverschärfungen, kein Momentum und keine Dynamik erzeugt.
Kone hat im unteren Video gleich mehrmals die Möglichkeit in vordere Räume vorzustoßen, um den Druck für Herthas Verteidiger zu vergrößern und echte Überzahl mit Luca Netz zu schaffen.
Durch die fehlende Tempoverschärfung muss die Fohlenelf (mehrere) Umwege finden, um zu verlagern, welche Räume in vorderen Zonen schließen lässt. So entstehen zudem keine Überzahlsituationen, die sich Borussia vom Matchplan gegen Marco Richter in der Defensive ausgedacht hat.
(Strafraum-)besetzung & rund um diesen
Generell ist die Boxbesetzung ein Thema, welches sich unter Farke definitiv noch entwickeln muss. Im unteren Video ist ein Beispiel zu sehen, als Scally Thuram in eine nicht einfache Situation bringt, dieser jedoch die Box auch nicht bespielen kann, da dort eine klare Unterzahl herrscht. „Echte“ Druckwellen, die ein Offensivspiel erzeugen können, entstehen auch dadurch, rund um die Box gestaffelt und gut positioniert zu sein, um auch „zufällig geschlagene Flanken“ erneut abzufangen und den Gegner tief im Defensivdrittel rein zu drücken.
Zwischen Potenzial und Wirklichkeit – Halbzeit 2
In der zweiten Halbzeit fand die Borussia zunächst gute Positionierungen, nutze diese allerdings wie im unten stehenden Bild nicht. Koné spielt auf die ballnahe Seite, statt auf der ballfernen Wolf in die Aktion zu nehmen.
Dies wäre in Halbzeit 1 nicht unbedingt ein Problem gewesen, da Berlin den Zwischenraum meist frei gab. Im zweiten Durchgang jedoch verteidigten die Halbverteidiger der Berliner deutlich aktiver nach vorn, wodurch Stindl hier nicht offen drehen konnte. Der Matchplan der Fohlen hätte hier mehr auf die ballferne Seite im Fokus angepasst werden müssen, die Besetzung war gut.
Individuelle Fehler läuten den Rückstand ein
Ähnlich wie oben bei Koné, schleichen sich aktuell zu oft kleine Fehler in der Entscheidungsfindung ein. Einzelne individuelle Fehler können aufgefangen werden, summieren und reihen sie sich aneinander, so wird dies allerdings zum Problem.
So auch beim 2:1 der Hertha, als Borussia dasselbe Problem, wie im Heimspiel gegen Schalke zeigte, die fehlende Geduld im Aufbau. Itakura sichert den Ballbesitz nicht, sondern sorgt für denn Ballverlust. In der Folge hat Berlin die Gelegenheit per Flanke, bei der die Borussia eine katastrophale Boxbesetzung hat. Ballfern bedingt durch die fehlende Breite in der 4er Kette vs. 5er Kette, ballnah aber auch durch fehlende Zuordnung von Kramer.
Durch den erneuten Ballverlust, nach Missverständnis von Koné und Stindl, kommt Berlin mit Serdar zur guten Gelegenheit, bei der die Borussia jedoch noch Glück im Unglück hat.
Es folgt (mal wieder) ein Ballverlust in der Vorwärtsbewegung und die Umschaltgelegenheit der Berliner treibt die Borussia erneut in die Unordnung.
Schlussendlich bekommt Gladbach auf dem Flügel zu wenig Zugriff und wird von Berlin für die Passivität bestraft. Netz will die Flanke unterbinden und Elvedi kann nicht raus, da er gut gebunden wird im Zentrum. Einzig Koné hätte das ermöglichen können durch ein früheres Schließen.
Zugegeben ein gutes Muster der Hertha, was mit dem Traumtor von Dardai belohnt wird.
Aufkommende Hektik im Rückstand
Die Borussia verlor nach dem 2:1 zunehmend die Geduld und entschied sich häufiger dazu, zu schnell zu viel zu wollen und zu früh tief zu spielen.
Auch in dieser Situation muss Itakura zumindest warten, bis Wolf einrückt, um die Lücke im Rücken zu reißen, wodurch Stindl den rechten Flügel attackieren könnte. Stattdessen spielt Itakura tief, ohne dass Gladbach die entsprechende Struktur bzw. Vorbereitung dafür hat.
Wie sieht der Plan gegen ein tiefes 5-3-2 aus?
Nachdem die Berliner sich in ihrem 5-3-2 Block nach der Führung weiter zurückzogen, fand die Borussia dagegen nur selten Lösungen. Warum dies so ist, zeigt das untenstehende Video.
Im Ballbesitz fehlt die nötige Entschlossenheit im Andribbeln, vor allem aber in der Positionierung in den Räumen und der effektiven Bespielung dieser.
Bezeichnend ist, dass die Chance für die Borussia aus der Einzelaktion von Koné eingeleitet wird, obwohl vorher einige offene Passwege ins Zentrum waren.
Nach dem guten Gegenpressing von Itakura eröffnet sich den Fohlen die nächste Gelegenheit, jedoch hier weniger aufgrund der guten Vorbereitung, sondern aus der Unordnung des Gegners. Leider trifft Hofmann die Entscheidung für Breite statt Tiefe, was eigentlich nach hohem Ballgewinn genau konträr behandelt werden sollte- Tief, wenn möglich, sonst breit.
Der Plan muss allerdings mehr als Individualaktionen erfordern, was hier nicht zu sehen ist.
Zur Wahrheit gehört hierbei auch, dass die Einwechslung von Flo Neuhaus ein belebendes Element für das Offensivspiel der Fohlen war, indem er sich häufig im Rücken eines 6ers nahezu ballfern anbot, ohne dabei die Distanz durch zu viel Breite zu verlieren. Guter Wechsel von Farke, um ein Element ins Offensivspiel zu integrieren.
Was fehlt schlussendlich im letzten Drittel?
Ganz nüchtern betrachtet: Die Menpower.
Durch die Struktur im Aufbau und die personell immer geltende Überzahl in eigener letzter Linie, fehlen den Borussen oft die Spieler im Angriffsdrittel für das Binden des Gegenspielers und das „Erzwingen“ einer Großchance.
Zudem wirkt es so, als seien die Laufwege und Positionierungen im eigenen Aufbau sehr klar definiert, während im eigenen Offensivspiel die Abstimmung dieser teilweise nicht geklärt scheint.
Ergibt sich einmal eine personelle Überzahl, wie im Bild unten, dann wirkt es so, als wären den Spielern alle Freiheiten gegebenen. Dies kann durchaus von Vorteil sein, allerdings muss Hofmann hier definitiv zwischen die beiden Verteidiger laufen, um Dardai zu zwingen, seinen Laufweg aufzunehmen, wodurch er im Rücken Raum für Wolf preisgeben würde. Eine genaue Vorgabe würde hier vermutlich zum freien Abschluss statt des Ballverlustes sorgen.
Fazit: Farke muss mehr Leitplanken vorgeben
Farkes Spiel in der Eröffnung ist große Klasse und bereits von einer hohen Qualität geprägt. Mit Feinjustierungen in der kommenden Transferperiode ist dementsprechend damit zu rechnen, dass dieses Niveau eher besser, als schlechter wird, was sehr gute Nachrichten sind.
Allerdings sind – bis auf kleinere Details – im letzten Drittel wenig Leitplanken und Prinzipien zu erkennen, die diesem Team – besonders in schwierigen Spielphasen – Halt geben, um Torgefahr erzeugen zu können.
Alles was über den Spielaufbau hinweg geht, erscheint fast „zufällig“ und basierend auf der individuellen Entscheidung des Spielers, bzw. dessen (Wahrnehmungs und technischen-) Qualitäten.
Dass Farke seinen Akteuren im Angriffsdrittel viele Freiheiten geben möchte, ist lobenswert und hat sich bereits mit 35 Toren in 20 Ligaspielen (Schnitt von 1,75 Toren pro Partie = 59-60 Tore nach Saisonende – Stand: 13.02.23) als gut erwiesen.
Wenn sie nur ein bisschen mehr der Qualität und Prinzipien des Aufbaus auch im eigenen Offensivspiel integrieren können, wird es mittelfristig mehr Erfolge geben.
Die Grundprinzipien, die Daniel Farke im Aufbau hat, sind gut und passend zum vorliegenden Spielermaterial. Dass ihm für die Ganzheitlichkeit ein paar Attribute fehlen, und ein neuer Geist in der Mannschaft (Hinweis: kommende Transferperiode) auch gut tun würde, erscheint logisch.
Dass das Spiel von Daniel Farke ein wenig „strenger“ sein darf, um den Spielern in „schlechten“ Phasen mehr Werkzeuge zum Erfolg an die Hand zu geben, ist selbstredend und muss entsprechend angepasst werden.
Auch wenn noch Sand im Getriebe ist, muss man konstatieren: Vieles ist schon gut in Daniel Farkes Spielanlage, allerdings muss einiges angepasst und entwickelt werden. Dafür benötigt der Coach Zeit und erhält von der BorussiaExplained-Redaktion volle Unterstützung dafür, denn wir finden:
Es lohnt sich, Daniel Farke die Zeit zu geben!