Seit knapp drei Wochen trainiert Pál Dárdai zum dritten Mal Hertha BSC. Angesichts eines 6-Punkte Rückstands auf den Relegationsplatz hat er nach dem Auswärtsspiel in München das Motto „Vier Spiele, vier Siege“ ausgegeben. Am Samstag gegen den VfB Stuttgart erfolgte nun der erste Streich – mit bewährten Mitteln. Wie das aussah, lest ihr hier.
Wie in München schickte Dárdai seine Mannschaft im Olympiastadion in einem 442 aufs Feld, während Stuttgart ebenfalls in der aus den letzten Spielen bekannten Grundordnung blieb.
Auf dem Feld gestaltete sich das Ganze dann grundsätzlich so, dass Hertha sich mit zwei engen Viererketten diszipliniert darum bemühte den Raum zu verteidigen, während Stuttgart das Feld durch konsequente Breitenbesetzung zu öffnen versuchte. Sosa und Vagnoman schoben dabei immer wieder hoch, während Tomás und Millot hinter Guirassy in die Halbräume fielen. Haraguchi und Endo bildeten zunächst die Doppelsechs.
Berliner auf der Lauer
Dass der VfB von Sebastian Hoeneß höhere Ballbesitzanteile haben würde, konnte man schon vor dem Spiel zu erwarten – letztlich sammelten die Stuttgarter laut Sofascore über 90 Minuten sogar ganze 71 Prozent Ballbesitz. Wie konsequent Hertha aber bei ihrem Plan blieb und die Schwaben kommen ließ, macht deutlich, dass Pál Dárdai schon innerhalb kurzer Zeit einige grundlegende Inhalte vermitteln konnte.
Hertha konzentrierte sich auf ein Mittelfeldpressing und lenkte Stuttgart auf die Außen. Sowohl die beiden Angreifer Jovetić und Niederlechner als auch die Mittelfeldreihe orientierte sich nicht zu den Gegenspielern, sondern besetzte den Raum, um vor allem Passwege durch die Halbräume zu schließen. Wenn Stuttgart dann beispielsweise Sosa fand, verschob Hertha konsequent auf die Seite und griff zu.
Wie unten zu sehen ist, orientierten sich dabei bis zu vier Herthaner zu zwei Stuttgartern (hier Sosa und Tomás). Lukebakio stresst Sosa, während Kenny fällt, um diesen zu stellen und den langen Passweg zu schließen. Uremović erkennt die komfortable Überzahlsituation und schiebt aggressiv auf Tomás raus, während Kempf absichert.
Je nach Höhe des Stuttgarter Wingbacks schob zum Beispiel Kenny auch immer wieder hoch, um Sosa schon beim ersten Kontakt zu stören und seine Vor-Orientierung zu verhindern.
Dass Hertha dies auf der rechte Seite deutlich besser gelang als auf links, zeigt die folgende Szene aus der 18. Minute. Kempf muss Millot hier deutlicher markieren, um Plattenhardt das Rausrücken zu ermöglichen. Dieser bleibt folglich in der Kette, sodass Vagnoman ohne Druck marschieren kann.
Auch beim hohen Anlaufen tat sich Plattenhardt schwer, wie unten zu sehen ist: Hertha setzt mannorientiert unter Druck, Stuttgart muss über Außen aufbauen. Plattenhardt fehlen allerdings das Timing und einige Meter, um Vagnoman bei Ballannahme zu empfangen.
Wie wichtig es ist, im Mittelfeldpressing nicht selbst zu passiv zu werden und die Spannung zu halten, zeigt sich im Vorlauf des 1:1 der Stuttgarter. Schon einige Minuten vorher schafft es Hertha nicht, Endo bei einer Verlagerung unter Druck zu setzen.
Anton dribbelt an, kann durch (!) Niederlechner und Jovetić ins Zentrum passen, wo Haraguchi auf Endo klatschen lässt. Herthas Mittelfeldkette verpasst den Moment für die Mannorientierung und kommt nicht mehr in den Zweikampf.
Ähnlich kommt es zum Gegentor: Hertha steht zu tief, drei Spieler stören Sosa nicht bei der Flanke mit dem schwachen Fuß und Richter nimmt nicht wahr, dass Plattenhardt gegen zwei Stuttgarter steht.
Beinahe wirkt es so, als hätte Hertha nach der eigenen Führung durch Kempf an Konzentration verloren.
Hertha schaltet defensiv offensiv um
Diesen kleineren (wohlgemerkt: nicht strukturellen) Mängeln zum Trotz war in allen Phasen des Spiels erkennbar, was Hertha vorhatte: Im offensiven Umschalten wurden immer wieder dieselben Muster bemüht, um die aufgerückten Stuttgarter zu überspielen. Dabei ging Hertha allerdings nur genauestens kalkuliertes Risiko.
Wurde der Ball auf dem Flügel erobert, wurde etwa nicht so schnell wie möglich der freie Raum gesucht, sondern zunächst die personelle Überzahl, die gegen den Ball hergestellt wurde, bespielt.
Im Bild unten ist zu sehen, wie sich für Tousart als Ballführenden nach Balleroberung aufgrund der vorher hergestellten, dichten defensiven Staffelung sofort mehrere Passoptionen ergeben.
Sowohl M. Dárdai im Zentrum als auch Niederlechner in der Spitze kommen zudem sogar noch entgegen, statt die Tiefe oder Breite zu suchen. Darüberhinaus entscheidet sich Tousart für ein Dribbling über den Flügel, also die langsamstmögliche Form des Ballvortrags – mit der er seinen schnelleren Mitspielern wie Lukebakio allerdings ermöglichte aufzuschließen. So geriet Hertha auch im offensiven Umschalten selten in Unterzahl.
Nach dem gleichen Muster schaltete Hertha in der 25. Minuten um: Niederlechner hat nach erfolgreichem Mittelfeldpressing vier Mitspieler im direkten Umkreis. Statt das Spiel aber über Richter im Zentrum zu öffnen, dreht er sich zum Flügel und spielt den Kurzpass über 3 Meter.
Im nächsten Bild zu sehen: Erst nach diesem ersten, kaum raumgewinnenden Zuspiel auf Tousart und dessen Steckpass auf Lukebakio wurde Tempo aufgenommen.
Auch hier geschieht dies also nicht durch einen vertikalen Pass, sondern durch Tragen des Balls. Jovetić bindet unterdessen ballfern Anton und zieht Stuttgart in letzter Linie auseinander.
Das hier zu beobachtende Grundprinzip des tiltings (d.h. dem Überlagern einer Seite mit eigenen Spielern) hat Hertha so die Möglichkeit geboten, bei nicht erfolgreichem Konter schnell wieder in die defensive Ordnung zu fallen, ohne aufgefächert zu sein.
Noch radikaler war dieses Muster in der zweiten Halbzeit zu beobachten, als man sich fast vollständig auf die Risikominimierung konzentrierte, um die Führung über die Zeit zu bringen. Sieben Feldspieler befinden sich auf dem linken Flügel Herthas, lediglich Lukebakio bietet Tiefe an.
Ein Dárdai ist nicht genug
Dass Hertha überhaupt kurz vor der Halbzeitpause durch einen Freistoß in Führung gehen konnte, war kein Zufall, sondern (man mag es kaum glauben) spielerisch erzwungen: Denn auch wenn Hertha nur 29 Prozent Ballbesitzanteile für sich verbuchen konnte, waren Strukturen erkennbar, mit denen man die Defensive des VfB punktuell aushebelte.
Eine Schlüsselrolle kam im eigenen Aufbau Marton Dárdai zu, der erstmal in dieser Saison auf der Sechs auflief. Herthas Aufbauspiel war darauf ausgelegt, ihn freizuspielen.
Mit Ball begab sich die Mannschaft dynamisch in ein 433. Während die Viererkette flach blieb, schob mit Tousart ein Sechser hoch. Indem auf der anderen Seite Jovetić von der Zehn auf die Acht fiel, konnten mit Endo und Haraguchi die beiden Sechser Stuttgarts in Mannorientierung gelockt werden. Gleichzeitig banden Richter und Lukebakio die Wingbacks Vagnoman und Sosa tief, sodass sie keinen Druck nach vorne ausüben konnten.
So war war es Hertha möglich durch einfache Steil-Klatsch-Muster (Tousart oder Jovetić ließen die Bälle der Innenverteidiger klatschen) M. Dárdai frei zu finden, der das Spiel ohne Gegnerdruck öffnen konnte. Sein präziser weiter Ball auf Lukebakio sorgte für den Zweikampf und das Foul, das zum Freistoß führte, aus dem das 2:1 fiel.
Fazit: Berlin is not over
Nach Pause versuchte Stuttgart durch die Einwechslungen von Silas und Führich für mehr Tiefe zu sorgen und Herthas Kette in 1gg1-Duellen zu binden.
Das gelang nicht wirklich, weil sich Herthas Kette nicht auseinanderreißen ließ. Auch in den wenigen Umschaltsituationen Stuttgarts wurde die grundsätzliche Orientierung nicht aufgegeben und sich auf die Sicherung der Tiefe konzentriert. Dem VfB wurde weiter die Breite überlassen, wie bei einem Konter in der 69. Minuten besonders eindrücklich zu beobachten war.
Die Kompaktheit der Berliner nahm im Laufe des Spiels also eher noch zu. Die wenigen wirklich gefährlichen Flanken wurden mit Konsequenz und etwas Glück verteidigt. Stuttgart konnte aus 75 Prozent Ballbesitz so kein Kapital schlagen und kam lediglich auf einen xG-Wert von 0,39.
Pál Dárdai monierte nach dem Spiel lediglich, dass die offensiven Umschaltmomente in Halbzeit 2 nicht gut genug ausgespielt wurden. Mit dem Spiel seiner Mannschaft war er ansonsten sehr zufrieden. Nachdem es in seiner ersten Trainingswoche um die Defensive, dann um die Offensive gegangen sei, stünde in der nächsten Woche das Umschaltspiel auf dem Stundenplan. Man darf gespannt sein.
Dass der Ungar seine Inhalte schnell vermitteln kann, hat das erste von vier Finals für die Hertha gezeigt. Die alte Dame lebt noch!