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All Inclusive mit schwerem Seegang

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Glaube Liebe Hoffnung: Irgendwo dazwischen bewegen wir Fußballfans uns ja eigentlich immer. In der alljährlichen Sommerpause wird diese Trias allerdings immer wieder zum Bermudadreieck.

Baywatch für Seepferdchen

Testspiele, Trainingseindrücke, Transfers und Medientermine: Im Bermudadreieck Sommerpause greifen wir nach jedem Strohhalm, um uns irgendwie zu orientieren.

Wo steht die Mannschaft?

Wissen die Leute im Verein wirklich, wo es hingehen soll?

Wird alles wieder gut oder geht es doch noch schlimmer?

Wir wollen gerne wissen, ob wir auch beim nächsten Auslaufen dafür bestraft werden, dass wir glauben, lieben und hoffen – ganz so, als ob es irgendeine Alternative gäbe.

Als Fan von Borussia Mönchengladbach ist man in diesem Jahr aber besonders nervös: Nach der schlechtesten Saison seit der Relegation 2011 wurde uns nicht einmal der mittlerweile gut bekannte Rettungsring Trainerwechsel hingeworfen. Kontinuität müsse her, sagt Roland Virkus – diese Kontinuität hält uns nicht lange über Wasser, will man mit Blick auf die Gezeiten entgegnen. Die Flut kommt nach dem Aufstieg spielstarker Mannschaften wie St. Pauli und Kiel und dem Abstieg bodenloser Teams wie Köln und Darmstadt zunehmend schneller.

Mit den gelungenen Transfers von Stöger, Kleindienst und Sander konnte man zumindest ein paar dringend nötige Rettungsschwimmer engagieren. Borussias Baywatch-Crew zeigt schon in den ersten Testspielen, dass sie die versprochene Intensität liefern und die Mannschaft über Wasser halten kann. Auch darf man erwarten, dass sie auf und neben dem Platz vorangeht, sich auch mal lautstarken einmischt, wenn Borussias Seepferdchen nicht mitziehen.

Unter der Voraussetzung, dass sich im defensiven Bereich noch etwas tut, könnte allein schon die Kaderveränderung Hoffnung machen, dass man in der kommenden Saison in ruhigeren Fahrwassern verbleibt – zumal individuelle Qualität und ein paar gute Steuermänner bei Gerardo Seoane den Unterschied dahingehend machen können, ob das Boot als Ganzes kentert oder nicht.

Welche Lizenzen?

Apropos Seoane: Als Kapitän darf er sich auf seiner zweiten Fahrt mit dem wankelmütigen Dampfer MS Borussia versuchen. Als Fan ist das nach den letzten Jahren eine neue Erfahrung.

Seoane hat sich bei seiner Ansprache gegenüber der Rheinischen Post immerhin aufgeräumt und selbstkritisch gezeigt. Er wurde sogar relativ konkret, wenn es um spielerische Defizite ging. Der Kapitän gibt einen aus: Das hat kurzzeitig zur allgemeinen Beruhigung beigetragen.

Dass er dabei aber über das Ziel hinausschoss und Spaniens Nationalelf als Inspirationsquelle benannte, sorgt für ein Störgefühl. Übermut tut auf hoher See selten gut. Man würde sich sicherer fühlen, wenn kleinere Brötchen gebacken werden. Damit sich die paar tapferen Recken nicht zu Tode rudern, muss Seoane zuerst einmal die vielen Löcher im Boot stopfen.

Bei der Ausrichtung sollten die Werftbosse Roland Virkus und Rainer Bonhof tunlichst darauf achten, dass man nicht gleichzeitig in verschiedene Richtungen steuert. Man muss sich für eine Richtung entscheiden: Wenn man Spieler einkauft, die Stärken gegen den Ball mitbringen, sollte man auch dieses Spiel gegen den Ball stärken.

Man sollte darauf bauen, dass man schon letzte Saison Stärken im offensiven Umschaltspiel gezeigt hat und sich nicht einreden, dass man im Kollektiv mit Ball noch die Qualität hätte, die man noch unter Trainer wie Rose oder Hecking hatte. Dazu wurde im letzten Jahr vom Trainerteam einfach zu wenig in das Positionsspiel investiert. Wahrscheinlich fehlt dazu schlicht die Expertise – auch wenn mit Tony Jantschke jetzt ein ausgewiesener Favre-Schüler im Trainerstab mitwirkt.

In Sachen Positionsspiel kann unser Kapitän zur See also weder die A, B, C noch die 6 vorweisen. Seoanes Stärke ist vielmehr das offene Spiel, wenn beide Mannschaften auf dem Platz aus der Ordnung fallen und die Räume entsprechend groß werden. Dass man sich im Abwehrverhalten letzte Saison (und auch in den bisherigen Testspielen dieses Sommers) oft im passiven Mannverteidigen eingerichtet hat und somit nicht dafür gesorgt hat, Chaos proaktiv entstehen zu lassen, ist vor diesem Hintergrund allerdings ein krasser Widerspruch innerhalb der eigenen Philosophie, der auf Dauer für Glaubwürdigkeitsprobleme sorgen muss. Wenn Seoane diesen Widerspruch aber doch noch hin zur Etablierung eines aktiven hohen Verteidigens auflöst, hätte er etwas geschafft, was Farke, Hütter und sogar Rose nicht geschafft haben.

Dieses Jahr sollte das Reiseziel also eher Österreich als Spanien heißen. Mehr kann und sollten auch die verwöhntesten niederrheinischen Kreuzfahrtgäste nach den letzten, oft überambitionierten Erfahrungen nicht verlangen: Quality time statt Jetset.

Kommt! Ins Offene, Fohlen!

Erwartungsmanagement ist das eine: Wir alle kennen aber dieses bange Gefühl vor einer großen Reise – ich bin zumindest immer tierisch nervös. Das wenigste wird man vorausplanen können, die meiste kommt anders als man denkt.

Wird es Streit geben? Wahrscheinlich.

Wird man manche seiner Pläne aufgeben müssen? Wahrscheinlich.

Wird man auf die Reise deshalb verzichten wollen? Niemals.

Deshalb lasst uns gemeinsam dieses klapprigen Kahn besteigen und sehen, wohin uns die Seepferdchen tragen: Banger Blick zurück, volle Kraft nach vorn!

Achja: Und was, wenn wir dann irgendwann in den nächsten Monaten wieder im Bermudadreieck landen? Wenn wir nicht wissen, wie wir uns über Wasser halten sollen? Wenn wir nicht wissen, in welche Richtung wir schwimmen sollen?

Wenn es soweit ist, lasst uns nicht vergessen: Das Bermudadreieck, das uns Fußballfans immer wieder, Jahr für Jahr, von August bis Juli verschluckt, ist nur dies: Glaube Liebe Hoffnung. Und bei denen ist die Ungewissheit eben inklusive.

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