Florian Neuhaus‘ Vertragsverlängerung bis 2027 wurde von Borussia mit Bohei promotet: Wer erinnert sich nicht noch an das Video aus dem Fahrstuhl, im Zuge dessen sein Wechsel von der Rückennummer 32 zur prestigeträchtigen 10 (Netzer!) öffentlich gemacht wurde? Der Hype war da und wurde sogar noch gestreckt, als Neuhaus von Gerardo Seoane zum dritten Kapitän hinter Omlin und Weigl ernannt wurde.
Im Dezember 2023 ist vom Hype nichts mehr übrig. Neuhaus kommt laut Transfermarkt auf eine Startelfquote von 50 Prozent und spielte nur 48 Prozent der möglichen Spielzeit. Sagen wir es ganz klar: Der Vizevize ist bis dato verzichtbar.
Opfer des Systems?
Dass Neuhaus nur eine Nebenrolle spielt, liegt einerseits natürlich an einem System, das anderen Stärken Priorität einräumt. Seoane legt Wert auf individuelle Intensität und braucht Spieler, die mit und gegen den Ball viel Spielfläche abdecken können. Er setzt deshalb häufig auf zwei vorschiebende Achter (die Balljäger) und einen tiefen Sechser (der Sammler). Spielmacheraufgaben fallen in der Regel Alassane Pléa zu – unabhängig davon, ob die Position des Zehners in der Grundordnung angelegt ist oder nicht.
Andererseits zeigt das Beispiel Pléa, dass es möglich ist, sich den Ansprüchen Seoanes anzupassen und seine Rolle zu finden – hat sich der Franzose als Neuneinhalb doch mal wieder neu erfunden und seine Defizite in Sachen Schnelligkeit und Intensität zu kompensieren gelernt.
Und Pléa ist nicht das einzige Positivbeispiel: Auch Luca Netz oder Joe Scally haben sich entwickelt und sind zu positiven Überraschungen auf teilweise neuen Positionen geworden.
Mittelfeldspieler Nummer 5
Dass Neuhaus mittlerweile sogar hinter Christoph Kramer nur noch Mittelfeldspieler Nummer 5 ist, lässt sich mit Blick auf die Statistiken erklären.
Grundlegend für einen zentralen Mittelfeldspieler ist (nicht nur bei Gerardo Seoane) zunächst seine Zweikampfquote. Während Reitz, Koné und Weigl ungefähr 55 Prozent ihrer Duelle gewinnen, fällt Neuhaus mit einem Wert von 38 Prozent deutlich ab. Neuhaus gewinnt auch deutlich weniger Bälle zurück als seine Mitspieler: Reitz (5,0) und Koné (5,7) erobern knapp zwei, Weigl (6,4) fast 3 Bälle mehr pro Spiel zurück als Borussias Nummer 10 (3,5). Bei einem Ansatz, der mit Ball stark auf schnelle Tiefe setzt und viel Präsenz gegen den Ball erfordert, sind das eklatante Unterschiede.
Neuhaus‘ Stärken und Schwächen lassen sich gut bei der Übersicht von FBref ablesen:
Positiv formuliert weist Neuhaus ein Profil auf, das keiner seiner Mitspieler mitbringt: Er ist mit Sicherheit der kreativste und torgefährlichste zentrale Mittelfeldspieler – auch wenn er mit einem Pléa (wenig überraschend) nicht mithalten kann.
Aber: Auch seine Passstärke und Ballsicherheit kommen im System von Seoane nicht zum Tragen, weil die Mittelfeldspieler grundsätzlich weniger im Aufbau eingebunden sind (was neben ihm Julian Weigl immer mehr zu spüren bekommt).
Wie viel Anpassung ist möglich?
Neuhaus kann also bislang kaum eine seiner Stärke einbringen. Umso mehr fallen seine Schwächen auf: Er ist kein Balljäger und als Achter deshalb keine Verstärkung, hat aber auch als Sammler deutlich weniger beizutragen als ein Julian Weigl, der laut FBRef viel mehr Bälle klärt, abfängt und blockt. Zudem zeigen Spiele wie das Heimspiel gegen Hoffenheim, dass Neuhaus immer wieder Probleme hat seine taktischen Aufgaben zu erfüllen und er zu stark auf sein eigenes Spiel festgelegt zu sein scheint.
Die Gretchenfrage am zweiten Advent lautet also: Wie sehr muss, kann und will der Spieler Florian Neuhaus sich ändern, um seinen Platz in Borussias Mittelfeld unter Gerardo Seoane zu finden?